Die Couchingzone

13.08.2010 - 13:19 Uhr
»Eine Couch, sie zu knechten, sie alle zu finden,
Zur Hölle zu treiben und ewig zu binden
Am Betzenberg, wo die Schatten drohn.«


Im Geiste dieses Sinnspruchs haben sich vor Äonen Berti und Bahli zusammen gefunden, in teils vergnüglichen, teils bittersüßen Kolumnen ihre Gedanken über unseren geliebten 1. FC Kaiserslautern mit dem geneigten Leser zu teilen.

In der Folge stießen neue Kolumnisten hinzu, einige verließen die Couch auch wieder, und so sieht die aktuelle Stammbesetzung in alphabetischer Reihenfolge folgendermaßen aus:

Butduma
Hegermeister
Newtrial
werschtche

Kritik ist hier ebenso willkommen wie Lob und viele »lesenswerts«.


Viel Spaß bei der Lektüre,

Los Couchistos

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You want it darker
We kill the flame

Leonard Cohen (1934-2016)

Dieser Beitrag wurde zuletzt von werschtche am 24.09.2018 um 15:39 Uhr bearbeitet
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Die Couchingzone |#1
13.08.2010 - 14:31 Uhr
BERTI, BAHLI & FRIENDS: IN DER COUCHINGZONE



Ausgabe 1: Das Ende der Sommerpause

Von Bertikoks


Die Sache mit der Tradition

Die gute Nachricht vorweg. Die Sommerpause ist vorbei. Grund genug einige Fragen zu stellen. Zum Beispiel diese hier: Was ist eigentlich Tradition? Wer definiert sie? Und wem dient sie? Kein Begriff ist seit dem Abstieg in die zweite Fußball Bundesliga mehr und intensiver im Zusammenhang mit dem FCK gebraucht worden. Am Anfang von den Medien, den Fans und den Funktionären. Dann von den Fans und den Funktionären. Und schließlich, zu einem Zeitpunkt als jedem mehr oder weniger klar wurde, dass man mit Tradition keinen Platz in der ersten, ja nicht einmal in der zweiten Bundesliga einklagen kann, nur noch von den Funktionären. So höhlt man einen Begriff langsam aus. Oder besser, man entwertet ihn. Als Stefan Kuntz an den Betzenberg kam, hat er diese Entwertung erkannt und ihr unmittelbar entgegen gewirkt. Mit der Herzblutkampagne. Sie war die Grundlage für den Stimmungsumschwung am Berg. Kuntz gab am Ende der ganzen Region den Glauben daran zurück, dass eine Wende zum Besseren, ja sogar eine Rettung des sinkenden Tankers FCK noch möglich sei. Dieser Schulterschluss war die Grundlage, um das Unmögliche am Ende doch noch unmöglich zu machen. Wie alles im Leben hat jedoch auch der Appell an die Tradition zwei Seiten. Solange ich mich erinnern kann, und das sind in Bezug auf den Betze mittlerweile drei Jahrzehnte, trägt der FCK sein rundes Logo. Nun wird es verändert. Mit Verweis auf die Tradition wird es an den Designentwurf eines Fünfjährigen herangeführt. Wird damit nicht eine mindestens dreißig Jahre alte Tradition beendet? Hätte Fritz Walter es so gewollt? Sicher nicht. Dem war schon die Umbenennung des Betzenberges in „Fritz Walter Stadion“ ein wenig unangenehm. Damit wir uns nicht falsch verstehen, die Tradition ist wichtig. Und wenn man kein Retortenverein ist, kann sie auch sicher Teil des Markenkerns werden. Teil des Selbstverständnisses ist sie ohnehin. Aber man sollte Vorsicht walten lassen. Auch der übermäßige, wenn auch ansonsten mit Substanz unterfütterte Gebrauch eines Begriffes, kann diesen auf Dauer entwerten.


Die Sache mit dem Benehmen

Die Sommerpause neigt sich, wie eingangs erwähnt, dem Ende zu. Bleibt etwas zu notieren? Ja, natürlich. Manager Heidel in Mainz zum Beispiel bräuchte dringend mal einen Kurs in gutem Benehmen. Was aus der Landeshauptstadt in diesem Sommer in Richtung FCK geäußert wurde, war oft mehr als unter der Gürtellinie. Der FCK hat allerdings souverän darauf reagiert. Nämlich gar nicht. Sollen Heidel und seine Gehilfen doch aufgeregt um den FCK herumtanzen. Das wertet uns am Ende nur auf. Unannehmlichkeiten jedenfalls, kann man uns so nicht bereiten. Schmerzlicher war da schon der Verlust von Sidney Sam. Alles andere können wir wohl kompensieren und natürlich haben wir uns auch in einigen Bereichen verbessert. Das Ziel kann in diesem Jahr aber eigentlich nur der Relegationsplatz sein. Über mehr würde ich mich freuen, erwarten darf man es nicht. Der Weg zurück ist bekanntlich lang und steinig. Als FCK Fan darf man aber nach den Erfahrungen der letzten Jahre eigentlich schon dankbar sein, dass es seit gut zwei Jahren wieder in die richtige Richtung geht. Vor diesem Hintergrund freue ich mich, dass der FCK die Verträge mit Marco Kurz und dem gesamten Trainerstab verlängert hat. Das ist ein vernünftiges Zeichen. Und weil Vernunft in den letzten beiden Jahren wieder großgeschrieben wird am Berg, bin ich mir sicher, dass es auch eine festgeschriebene Regelung für den Fall einer vorzeitigen Trennung im neuen Vertrag gibt. Vom alten Kontrakt war das ja bekannt. Lieber als dieses Szenario wäre mir und wohl auch allen anderen, dass sich Marco Kurz als Langzeittrainer in Kaiserslautern etabliert. Hoffen wir, dass es so kommt.


Die Sache mit dem DFB Pokal

Das Ende der Sommerpause bringt auch den Wettbewerb zurück. Arbeit für die Mannschaft. Der FCK muss zum Auftakt nach Osnabrück. Das wäre insofern nichts neues, als das die Osnatel-Arena - ja, auch die kleinen Stadien tragen mittlerweile solche Namen - ein durchaus vertrauter Spielort für die Roten Teufel der letzten Jahre ist. Nur hat sich mittlerweile die Perspektive geändert. Der FCK ist wieder Erstligist und insofern natürlich Favorit an der Bremer Brücke. Aber was heißt das schon? Der VfL Osnabrück kann im Pokal gegen die neuformierte Mannschaft des FCK nichts verlieren, nur gewinnen. Dass dort im Allgemeinen gute Arbeit geleistet wird zeigt der Erfolg. Nach dem Abstieg im letzten Jahr nahm Claus-Dieter Wollitz als Trainer seinen Hut. Den Neuanfang wagte der Verein mit Trainer Karsten Baumann. Einer weniger kontroversen Figur. Und schaffte den direkten Wiederaufstieg. In Sachen DFB Pokal war für Osnabrück im letzten Jahr erst im Viertelfinale Endstation. Dabei schaltete man unter anderem den HSV und den BVB aus. Solche Geschichten müssen sich aber nicht wiederholen, denn gerade wir wissen ja, dass Tradition nicht für Tore garantiert.

Bis dahin.

Gruß Berti


In der Couchingzone befinden sich neben Berti und Bahli auch noch Kohlmeyer und Butduma. Die Kolumne erscheint jeweils Freitag um 12:00 Uhr oder an Spieltagen zur gleichen Zeit bei allen Pflichtspielen.

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Bertikoks - Transfermarkt since 2003. Originalmitgliedsnummer 1686. Keine anonyme Kritik: FCK MGLD 2151
Die Couchingzone |#2
20.08.2010 - 11:53 Uhr
BERTI, BAHLI & FRIENDS: IN DER COUCHINGZONE

Ausgabe 2: Lasset sie auftakten, für die neue Ballspielperiode 2010/2011!

Von Butduma


Der Schrei der Pfeife im Plastikschuh

Wenn heute Abend der schwarze Mann kräftig in seine Pfeife pustet und deren Schrei sich im selben Moment trillernd seinen Weg durch das weite Rund der Allianz-Arena bahnt, dann ist es soweit: Anpfiff zur Bundesligasaison 2010/2011! Für viele, vorwiegend männliche, Fussballanhänger füllen sich der Alltag und insbesondere das Wochenende mit einem Sinn, genau dort wo über den Sommer keiner außer Grillen und Bier war. Frohsinn, Ballsinn, Wahnsinn und ein wenig Sinnlichkeit – ganz viel Sinn in einem Komplett-Paket, auch ohne Gebührenerhöhung ab 2011. Zur Einstimmung kommt es zum Schlager, der aktuelle Meister trifft auf den vorherigen Schalengewinner, das Starensemble des FC Bayern München spielt gegen die Wölfe aus der Autostadt. Aus dieser Sicht ein Duell auf Augenhöhe, aber angesichts der Leistungen aus der letzten Spielzeit wohl höchstens eine Auseinandersetzung auf Höhe der Hühneraugen einiger Bayernspieler. Viele haben das bestimmt, weil die ja spätestens seit der WM alle mit so engen Plastikschuhen mit Leuchtfarben spielen müssen, weil die dann auch nachts für den Herrenausstatter sichtbar sind. Dem Fuß gefällt es natürlich nur wenig, aber da man mit Hühneraugen nicht sehen kann, hält er sich zurück und schweißt nur still vor sich hin. Es könnte sich für die Bayuwaren eventuell als Nachteil erweisen, dass viele Spieler bei eben erwähnter WM im winterlichen Südafrika für ihre Länder eine Ehre vertreten mussten – außer Ribéry – und sie deshalb noch sehr müde sind oder den Rückweg nur unzulänglich gefunden haben.


Alte Herren nach zähen Jahren

Nachdem der erste Durst nach wahrem Fussball, so ganz ohne Schland-Girlies und dämlichen Fragen, gestillt ist, stehen am Samstag und Sonntag die weiteren Partien an. Wie werden sich die Favoriten präsentieren, finden sich die Aufsteiger auf den Abstiegsplätzen wieder, wie wird sich die Altherrengarde um Ballack und Raúl schlagen, was ist Bremen ohne Özil, macht Onkel Didi noch mal den Geldbeutel auf, wer wird zukünftig in Mainz den Parkplatz bewachen, wo holt Bayern den Most, ist Torfabrik wirklich der uneheliche Bruder von Jabulani? Viele Fragezeichen stehen vor dem Saisonauftakt, das macht die Sache umso interessanter – nicht nur für die Detektive unter uns. Man muss da eben Prioritäten setzen! Wir setzen sie bei den Roten Teufeln vom Betzenberg, dem 1.FC Kaiserslautern, der froh ist nach zähen vier Jahren, wieder bei den Großen mitspielen zu dürfen - Bescheidenheit ist angesagt. In Lautern gab es viel Bewegung in der Sommerpause, nicht nur in den Schlafzimmern und auf dem Trainingsplatz: mit Sam, Mandjeck und Jendrisek haben drei Leistungsträger den Verein verlassen, gefolgt von etlichen anderen, die ein paar weniger Leisten trugen, aber trotzdem lieb waren. Dafür kamen reichlich Alternativen aus Deutschland, Österreich, Kroatien und dem Rest der Welt. Man hoffert, dass sich die Wundertüten nicht als Knalltüten entpuppen, und sich mit vollem Zahnersatz für den Herzblutverein einbringen – einige Spieler gehen in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voran und riskierten bereits in den Testspielen Kopfball und Kragen. So stimmten auch die Ergebnisse derselbigen.


Fussballgenetische Unwuchten im Profitum

Das Ergebnis stimmte auch im ersten Spiel, bei dem es um die sprichwörtliche Wurst ging, die manchmal so einige 100 000 € wert sein kann – eine Bilanzwurst quasi. Im DFB-Pokal konnte man in Osnabrück in der Nachspielzeit die Verlängerung und somit den anschließenden Sieg erzwingen: Lakic und Hoffer sei Dank! War es der Lohn des Tüchtigen? Ich weiß es nicht, aber für das Selbstvertrauen könnte dieser Sieg ungemein wichtig sein. So kann man mit breit geschwellter Brust sowie dem feinen Mannschaftsbus mit Klo und Flatscreen nach Köln fahren, um dort gegen den anderen FCK anzutreten, der er sich gegen die Roten Teufel bekanntlich immer sehr schwer tut. Man hat dieselben Initialen, man hat eine bekloppte Anhängerschaft, man hat Größenwahn, man hat ein gehörntes Maskottchen und Dom und Betze sind fast gleich hoch, aber irgendwie haben sich die Pfälzer über die letzten 20 Jahre trotzdem zum Angstgegner entwickelt. Wo liegt also dieser grundlegende Unterschied, der zu solch einer Unwucht führen konnte? Die Unwucht liegt im Narrentum begründet, auch wenn Helau und Alaaf phonetisch nichts gemein haben, so muss der geneigte Feudalhistoriker erkennen, dass der gemeine pfälzische Kartoffelbauer dem Karnevalisten fussballgenetisch überlegen ist – an Samstagen, wenn viele glückliche Umstände zusammenkommen.

In diesem Sinne!

Ba beneen,
Butduma

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SAPERE AUDE
- Wage es, weise zu sein -

oder nach Immanuel Kant
"Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Die Couchingzone |#3
26.08.2010 - 11:27 Uhr
Ausgabe 2: Aus dem Wald zurück in die Welt: Robin Hood trägt heute Rot

Von Kohlmeyer


Was für eine Ehre! Meine erste Kolumne in diesem erlauchten Kreis, und ich darf sofort etwas möglichst Geistreiches zum Spiel der Spiel absondern. Wow!

Lautern gegen Bayern - das Spiel der Spiele? Wird das von Jüngeren hier im Forum überhaupt noch so empfunden? Sehen die den Erzrivalen nicht längst in unserem vierfarbbunten Nachbarn, der sich so selbstgefällig als Kultclub zu inszenieren versucht? Ist es nicht allein schon eklakantes Zeichen unseres Niedergangs im vergangenen Jahrzehnt, das wir sowas mittlerweile allen Ernstes als Erzrivalen bezeichnen?

Für meine Generation jedenfalls ist und bleibt Lautern gegen Bayern das Maß aller Dinge. Obwohl wir diesmal eher mit bescheidener Erwartungshaltung auf den Betze pilgern werden. Weil wir halt nicht mehr ganz so temperamentvoll sind, etwas altersweiser und -milder - und vor allem, weil wir die geänderten Realitäten einfach nicht ignorieren können.

Lautern gegen Bayern - das werden viele Erinnerungen wach. Und auch in der Magengegend beginnt es zu rumbumbeln. Die Beziehung zwischen Bayer und Pfälzer ist - drücken wir es mal im Mediatorensprechdenk aus - "belastet". Manche reden sogar von "Bayernhass". Den wollen wir hier keinesfalls schüren. Aber vielleicht beleuchten wir unsere verschwurbelte Gefühlswelten mal genauer, beziehungsweise ich die meine.



Stoiber, Bierbichler, die Bayern und ich


Als Heranwachsender war ich in den Ferien oft in München, um zu jobben. Schon damals habe ich festgestelllt, dass es zwei Sorten Bayern gibt. Die eine trug wenn, dann geerbte Trachtenklamotten, war kurz- und krummbeinig, etwas rundlich und gemütlich. Sie saß am liebsten in Biergärten unter Kastanienbäumen, trank Weißbier, wusste, wie man Weißwürste auszutzelt und man einen "Radi" richtig aufschneidet und salzt. Sie grantelte ganz gern, war insgesamt aber verträglich, solange ihr niemand ins Bier spuckte. Bierbichler-Bayern, so genannt nach dem bayrischen Volksschauspieler Sepp Bierbichler.

Die andere Sorte trug sauteure, maßgeschneiderte Trachtenklamotten vom Edeldesigner. Sie sah sich als weltmännisch, hielt Bayern, insbesondere München, für den Mittelpunkt der Welt, fußballerisch sowieso, aber auch politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und modisch, riss der eigenen rhetorischen Schwäche ungeachtet gerne das Maul auf, wusste alles besser, machte nach eigener Überzeugung grundsätzlich alles richtig und hatte für alles Nicht-Bayrische nur Spott und Sarkasmus übrig. Stoiber-Bayern, so genannt, weil Sepp Bierbichler dieses Typus einmal so bezeichnet hat.

Irgendwann fiel mir auf, dass die Bierbichler-Bayern fast alle Sechziger-Fans waren und die Stoiber-Bayern Bayern-Fans. Ich denke, ich muss nicht erklären, welcher Sorte ich mich zugeneigter fühlte.

In der heimischen Pfalz spielte ich jeden Sonntag Fußball in einer Thekenmannschaft, ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus allen Einkommens- und Bildungsschichten. Legendäre Zeiten, die mich lehrten, dass der Sport tatsächlich alle Menschen miteinander verbinden kann. Alle - bis auf einen. Da war Fritz, ein innerlich wie äußerlich hässlicher Wicht, der den knallharten Verteidiger gab, weil ihm fürs Kombinationsspiel weiter vorne die Technik fehlte. Da aus ihm nichts geworden war, betrieb er eine Kneipe, in die keiner ging. Aufgrund seiner geringen Körpergröße plagten ihn vehemente Minderwertigkeitskomplexe, die er mit überhartem Spiel und cholerischem Auftreten kompensierte. Über die Maßen liebte er es, sonntags morgens uns FCK-Fans zu verspotten, wenn unsere Mannschaft verloren hatte. Provinzkicker, Bauern und dumme Treter waren das für ihn, dem es am Einsichtsvermögen fehlte, dass er selbst der größte aller Provinzkicker, Bauern und Treter war.

Muss ich sagen, welchen Farben der unsägliche Fritz frönte?

Kohli, wird der ein oder andere jetzt einwerfen, das sind ja alles dermaßen was von ausgelutschte Klischees, gegen die ist ja selbst Mario Barth originell. Mag sein, aber es sind Wahrnehmungen meiner Jugend, die natürlich subjektiv sind, die ich aber als authentisch empfinde.

Und die den Hintergrund bildeten für das, was ich bis in die 90er Jahre auf dem Betzenberg erleben durfte. Bayern gegen Lautern - das wurde für mich ein Aufeinderprallen zweier Welten und Weltanschauungen. Selbsternannte Weltstadt gegen eine sich ehrlich als selbst so empfindende Provinz, Pfeffersäcke gegen Hungerleider, Kapital gegen Proletariat, Kopf gegen Herz, Pragmatismus gegen Leidenschaft, Technik gegen Kampf, Rummenigge gegen Briegel. Den sich aufdrängenden Duell-Vergleich aus dem alten Testament erspare ich mir, auch die Gallische-Dorf-Metapher, nachdem sie mittlerweile auch schon Hachinger, Mainzer und zuletzt - Gipfel ungewollter Ironie - sogar Herr Professor Rangnick aus H. für sich beansprucht haben. Ich halte es lieber mit dem heute in Schande lebenden Atze F., der seine Sprachbilder im Sherwood Forest suchte: "Wir sind wie Robin Hood und seine Bande. Wenn es uns gut geht, kommen wir aus dem Wald und hauen den Großen auf den Kopf. Wenn es uns schlecht geht, verstecken wir uns wieder im Wald und lecken unsere Wunden."



Uli, Mario, Louis und ich



Bevor ich mich jetzt weiter als Einpeitscher betätige, muss ich jetzt aber auch mal ein paar Worte pro Bayern loswerden - auch wenn ich dadurch sicher ein paar Claqueure verliere, denen meine ersten Absätze aus dem Herzen sprachen. Man wird mit der Zeit halt älter und klüger und beginnt die Dinge differenzierter zu sehen. Ich gestehe: Ich haben Einiges an den Bayern mittlerweile schätzen gelernt. Uli Hoeneß zum Beispiel.

Doch, doch: Die Art und Weise, wie er seinen Klub über Jahrzehnte "on top" gehalten hat, muss jeder faire Sportsmann einfach anerkennen. Sicher hatte er dafür viel Geld zur Verfügung, aber das Geld haben die Bayern selbst erwirtschaftet, und auf der europäischen Bühne haben sie auch so manchen geschlagen, der noch mehr Geld hatte als sie. Und selbst Mannschaften mit viel im Geldsäckel erlauben sich über die Jahre immer auch mal Abstürze, die die Bayern unter Uli H. aber stets in Grenzen halten konnten.

Noch mehr Respekt als dem Sportmanager nötigt mir mittlerweile die Persönlichkeit Uli H. ab: Weil er sich seine Sperrigkeit bewahrt hat, in unserer politisch auf korrekt gebürsteten Welt auch mal Meinungen äußert, von denen er weiß, dass er dafür nicht beklatscht wird. Seine Verteidigung der VIP-Logenkultur etwa, die es heutzutage braucht, um auch Zehn-Euro-Tickets anbieten zu können. Noch großartiger fand ich seine Worte und sein Auftreten zum Tod Dominik Brunners.

Auch einige Bayern-Spieler sehe ich heute differenzierter als früher. Den "Trommler" Effenberg etwa habe ich mal in einer Autogrammstunde erlebt, wo er von schätzungsweise 500 einfachen Industriearbeiter bedrängt wurde. Ich muss sagen, er hat nicht jedem nur ein paar Krakel aufs Papier gerotzt, sondern sich wirklich bemüht, einen Schriftzug hinzubekommen, den man mit viel Phantasie tatsächlich als "Effenberg" entziffern konnte - Solche Kleinigkeiten zeigen, dass sich einer nicht nur als Superprofi inszeniert, sondern diese Einstellung auch lebt. Noch positiver fiel mir in der gleichen Autogrammstunde der Damals-noch-Bayer Mario Basler auf. Der plauderte und blödelte mit den wildfremden Malochern, als wären es seine besten Kumpels, und die hatten wirklich einen Riesenspaß mit ihm. Das sieht man auch bei FCK-Profis nicht alle Tage.

Nicht zuletzt fühle ich mich auch - o weh, jetzt wird´s für mich als FCK´ler wohl endgültig peinlich - dem aktuellen Trainer Louis van Gaal ein wenig verbunden. Was ein bisschen mit meiner eigenen bescheidenen Trainerkarriere zusammenhängt. Irgendwann in den 80ern Jahre begann ich nämlich meine Thekenmannschaft zu coachen. Damals spielte in Deutschland noch jeder 3-5-2. Ich entwickelte für mein Team ein 3-4-3. das ich ihm mit Hilfe elf leerer Flaschen eines ausgetrunkenen Kastens Karlsberg auf einem Kneipentisch nahe brachte. Nachdem wir mit diesem System triumphal erfolgreich waren, hörte ich, dass ein junger Trainer in Amsterdam mittlerweile das gleiche System spielen lässt. Wenn ich betrunken genug war, erzählte ich jedem, dass dieser Käskopp das von mir geklaut hatte.

Natürlich glaubte mir niemand, ich mir ja nicht einmal selbst, und mittlerweile hat die Geschichte ja auch entschieden, dass van Gaal ein besserer Trainer ist als ich. Doch, ich finde ihn gut, weil er eine eigene, unverwechselbare Handschrift hat, die, wie die WM zeigte, mittlerweile sogar den gesamten deutschen Fußball positiv prägt. Und auch wenn ihn viele für arrogant halten - ich sehe in seinem Auftreten eher die Einstellung: Ich ziehe mein Ding durch, und ob mich einer mag, muss jeder für sich selbst entscheiden. Keine schlechte, finde ich.



Der Optimist, der Pessimist, das Wunder und ich



Aber genug mit der Bayernfreundlichkeit. Kommen wir zurück zum Wesentlichen. Lautern gegen Bayern - und das nach vier Jahren Bundesligaabstinenz. Der Fußballgott muss den Spielplanbürokraten vom DFB stundenlang geknutscht haben, damit ihm diese Ansetzung einfiel. Kein Wunder - der Fußballgott wird ja von Fritz Walter beaten. Und dann auch ein Freitagabend. Ein Flutlichtlichtspiel, verdammt, ich krieg jetzt schon Gänsehaut.

Und was dürfen wir erwarten?

Vier Jahre Wundenlecken sind doch eigentlich genug sein. Und jetzt? Kommen wir jetzt wieder aus dem Wald und hauen den Großen auf den Kopf? Mit Amedick, der als Hüne John auf dem querliegenden Baumstamm stehend, den Bayern den Weg über den Fluss ins Tor versperrt? Erwin Hoffer als Bruder Tuck? Und Srdjan Lakic als Robin, als ehemals grüner Bogenschütze, der nun Rot trägt?

Oder hat sich die Fußballwelt im Oberhaus vielleicht doch zu sehr verändert? Schießt Geld nicht mittlerweile doch Tore?

Lassen sich spielerisch haushoch überlegene Mannschaften noch mit Herz und Leidenschaft in Grund und Boden rennen?

Ein Pessimist ist ein Optimist mit mehr Erfahrung, heißt es. Insofern neige ich mittlerweile zum Pessimismus.

Oder bin ich mittlerweile einfach nur ein verzagter A.rsch geworden, der nicht mehr an Wunder glauben mag?

Wer, wenn nicht wir!

Wir brauchen kein Wunder. Wir sind das Wunder.

Gruß,
Kohlmeyer


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"Du kannst auf deinen Verein stolz sein, aber eigentlich nicht auf die Tatsache, ein Fan dieses Vereins zu sein. Denn die Fan-Werdung vollzieht sich bekanntlich ähnlich wie die sexuelle Orientierung: Da kommt etwas über dich, das du nicht beeinflussen kannst. (...) . Du kannst deinem Verein nicht einfach die Gefolgschaft kündigen. Du kannst deinem Verein nicht den Tritt versetzen. (...) Du kannst deinen Verein nicht einfach loslassen, denn er hält an dir fest."
Thomas Brussig
Die Couchingzone |#4
09.09.2010 - 13:41 Uhr
Ausgabe 4: War Edi Finger eigentlich ein Null-Fünfer?

Von Bahli


Vorhang auf, it's Derby-Time am Bruchweg! Wie, für euch ist das kein Derby? Aber überall hört und liest man doch vom bevorstehenden Rheinland-Pfalz-Derby zwischen dem FSV Mainz 05 und dem 1. FC Kaiserslautern. Für euch ist das ein ganz normales Spiel? Ein Spiel wie jedes andere auch. Kein Derby? Dann hat sich der Verfasser dieser Zeilen wohl ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt. Und kommt nun nicht daran vorbei, diese Diskrepanz zu untersuchen. Dass hier eine Diskrepanz vorhanden ist, scheint eindeutig. Man muss nur die beiden Fanlager betrachten. Die einen sehnen sich nach ihrem ersten Derby-Spieltag in dieser Bundesliga-Saison, die anderen weisen jegliche Derbyverantwortung rigoros von sich. Wir müssen also zuerst einmal die folgende Frage klären, auch wenn sie nur subjektiv beantwortet werden kann:


Was zum Teufel ist eigentlich aus FCK-Sicht ein Derby?

Rückblende: Wir schreiben den 3. Mai 1988. Es ist Dienstagabend 21:50 Uhr. Bahli verlässt hochzufrieden das Ludwigshafener Südwest-Stadion. Nach Toren von Harald Kohr und Franco Foda besiegte der 1. FC Kaiserslautern in einem denkwürdigen Südwest-Derby den SV Waldhof Mannheim mit 2:0 und zog sich an den eigenen Haaren aus dem Relegationssumpf. Dieses Spiel war in allen Belangen ein Tanz auf der Rassierklinge - Flutlichtspiel, ein ausverkauftes Haus, Fans zahlenmäßig gleich verteilt, zwei Kurven, die 90 Minuten einen saumäßigen Radau veranstalteten und große Emotionen auf dem Rasen. Unvergessen die Szene nach dem 0:2 als Franco Foda den Zaun des Lautrer Fanblocks erstürmte und ihn wohl am liebsten abgerissen hätte. Ähnliches erlebten die Fans im Südwest-Stadion in der Saison davor (4:3 für den SV Waldhof) oder in der Saison danach (0:4 für den FCK). Auch die Auseinandersetzungen auf dem Betzenberg hatten es immer in sich. Kein Fan, der diese Partien damals erlebte, wird sie jemals vergessen. Da war Leidenschaft auf dem Rasen, da war Leidenschaft auf den Rängen und selbst das triste Ludwigshafen wurde von so viel Leidenschaft einfach überrannt. Es glühte im Süden Ludwigshafens. Bei besagten Spielen klapperten selbst mir die Zähne vor Aufregung. Und ich konnte mich erst drei Tage später wieder - wenn auch nur mit krächzender Stimme - verständlich machen. Und genau wegen dieser grenzenlosen Emotionen wünsche ich mir den Waldhof zurück in die Bundesliga. Ein Wunschtraum - ich weiß. Aber genau diese Spiele waren für mich Derbys, so wie man sie sich vorstellt. Man hatte nach jedem Spiel das Gefühl, an einer verbalen und emotionalen Schlacht teilgenommen zu haben. Gezeichnet von allen Gefühlen, die sich nach solch einem Derby einbrennen. Das waren emotionale Kräftemessen der ganz besonderen Art.


Was zum Teufel unterscheidet den Fastnachter vom Teufel?

Aber wie und vor allem warum zum Teufel soll man sich einen netten, stimmungsvollen und allzeit lustigen Narren zum Feind machen. Setzt man sich da nicht direkt in die Nesseln der objektiven Fußballwelt? Diskreditiert man sich nicht in den Augen der objektiven Kickergemeinde. Wenn der Teufel ins karnevalistische Weihwasser spuckt, kann es nur zwei Verlierer geben - das Weihwasser und den Teufel. Also lässt er es doch besser bleiben. Wer versucht, die gute Laune der Gutgelaunten zu trüben, wird sich selbst den Spaß verderben. Und genau das macht es für die Teufel so schwer, sich mit den Narren aus Mainz anzulegen - verbal wie sportlich. Das von den Karnevalisten gebaute Haus basiert auf Spaß und Freude. Nach Niederlagen grämt sich der Fastnachter nicht, man freut sich einfach daran, dass man sich exakt darüber freuen kann, dass man sich freut. Ein Teufelskreis. Aber ein emotional großartiger. Man muss ihn nicht verlassen. Man freut sich, weil man sich freut, weil man sich freut. Der Teufel ist dagegen wesentlich komplizierter gestrickt. Nach einer Niederlage heißt seine Emotion Ärger, Trübsinn oder Unzufriedenheit. Dies zeigt allerdings auch, wie problematisch ein Teufel tickt. Er lacht nicht, wenn er verliert. Ein Unding. Die Moral aus der Geschicht: Des Teufels Verein muss gewinnen - komme, was da wolle. Und wenn nichts mehr hilft, hilft eben der Fußballgott. Oder der Oberste Rheinland-Pfälzer. Und wer hilft dem karnevalistisch aufgeputschten Spaßfan? Niemand. Der braucht niemand. Der benötigt keine Hilfe. Ihm hilft der olympische Gedanke: Ich freu' mich, weil ich dabei bin und mich darüber freue.


Gibt es eigentlich den konvertierten Fan?

"I wer’ narrisch" schrie der österreichische Fußball-Kommentator Edi Finger 1978 in sein Mikrofon, als Hans Krankl den Piefkes mit seinem legendären 3:2-Siegtreffer im argentinischen Cordoba die WM-Lichter ausblies. Heute hieße sein Bekenntnis, Fan des FSV Mainz 05 geworden zu sein. Aber wie wird man eigentlich Fan des FSV Mainz 05? Durch die Geburt, durch väterliche (oder mütterliche) Sozialisierung oder durch das Anrecht auf dauerhaften Spaß beim Fußball? Ich frage mich z.B. häufig, was eigentlich der Mainzer Fußballfan zwischen 50 und 70 in den siebziger, achtziger oder meinetwegen auch noch neunziger Jahren gemacht hat. War er da bereits Fan der Null-Fünfer? Oder hatte er seine fußballerische Gunst noch anderweitig verteilt. Möglicherweise sogar in der Pfalz eine Liebschaft auf einem Berg sitzen? Meines Erachtens treffen sämtliche Punkte zu. Bleibt aber die Frage stehen, was hat der 1. FC Kaiserslautern falsch gemacht, dass man seine Liebe verschmäht und sich eine andere Liebe sucht - quasi fremdgeht? Einen dieser Konvertierten konnte man am vergangenen Sonntag in "Flutlicht" erleben - Hans-Peter Betz, seines Zeichens Sitzungspräsident des Karnevalknallers "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht". Er war bis in die neunziger Jahre Anhänger des 1. FC Kaisersleutern. Erst das dubiose Geschäftsgebahren um Jürgen "Atze" Friedrich und Robert Wieschemann brachten seine Anhängerschaft ins Wanken. Er schloss sich den Null-Fünfern an. Ich bin mir sicher, dass dies keine Eintagsfliege war, dass zahlreiche Anhänger der Mainzer früher ihre Fußballgunst in der Pfalz ansiedelten. Die letzten wankenden Teufelchen sammelte ein flötender Fußballtrainer namens Kloppo ein und bekehrte sie zu Spaß und Geselligkeit im Fußballstadion.


Wie bricht man am Bruchweg ein und entführt drei Punkte?

Spielt in der Fußball-Bundesliga der Tabellendritte gegen den Tabellenersten, dann spricht man gemeinhin von einem Spitzenspiel. Normalerweise heißt solch ein Gipfeltreffen Werder Bremen oder Schalke 04 gegen den FC Bayern München. Am dritten Spieltag heißt es FSV Mainz 05 gegen den 1. FC Kaiserslautern - Exaufsteiger gegen aktuellen Aufsteiger. Natürlich ist dieses Spiel das sportliche Thema in Rheinland-Pfalz. Aber darüber hinaus? Keine Spur. Das eigentliche Spitzenspiel findet in München in der Allianz-Arena statt. Dort trifft eben der FC Bayern auf Werder Bremen.

Mainz gegen Kaiserslautern ist sowieso ein eher neueres Modell in der deutschen Fußballgeschichte. 13 Begegnungen gab es bisher zwischen den beiden Vereinen - lässt man einmal die Oberliga Südwest Anfang der sechziger Jahre außer Acht. Erst vier davon in der Bundesliga, sechs in der 2. Liga und drei im DFB-Pokal. Die Bilanz spricht knapp zu Gunsten der Pfälzer - vier Siege, sechs Unentschieden und drei Niederlagen. So richtig denkwürdig waren eigentlich nur zwei Begegnungen - das 4:5 nach Elfmeterschießen im Achtelfinale des DFB-Pokals der Saison 2005/06. Ferydoon Zandis Elfmeter wurde damals übrigens zu Unrecht von Schiedsrichter Michael Weiner nicht hinter der Linie gesehen. Und dann gab es noch den Zweitliga-Saisonstart 2008/09. Mainz sah mit einer 3:0-Führung bereits wie der sichere Sieger aus, aber ein gewisser Erik Jendrisek verhagelte mit einem Doppelpack dem damaligen FSV-Trainer Jörn Andersen die Premiere am Bruchweg.

Gegen den großen FC Bayern hat die neue graue Bundesligamaus gezeigt, wie man in der Eilteklasse des deutschen Fußballs bestehen kann. Mit einer Überdosis Leidenschaft und Vertrauen in die eigene physische Stärke. Und die ist absolut vorhanden. Die Mannschaft wirkt fit und austrainiert, sie besinnt sich auf ihre ureigenen Stärken. Sie verliert sich nicht Dingen, die sie nicht kann. Und genau darauf wird es am Bruchweg ankommen. Die Mainzer sind ebenso hervorragend in die neue Saison gestartet wie der pfälzische Rivale - zwei Spiele, zwei Siege. Vor allem die Art und Weise, wie man beim VfL Wolfsburg nach einem 0:3-Rückstand zurück ins Spiel fand, war beeindruckend. Der 4:3-Auswärtssieg war letztendlich hochverdient, weil die Null-Fünfer niemals aufgaben, immer an einen Erfolg glaubten. Dies ist sicherlich auch ein Verdienst des jungen Trainers Thomas Tuchel, der es auch in einer hoffnungslosen Situation schafft, eine gewaltige Steigerung aus seiner Elf herauszukitzeln. Und genau dies macht die Mainzer zu einem unbequemen Gegner. Sie werden kämpfen, rennen und Gras fressen. Über 90 Minuten plus Nachspielzeit. Da gilt es aus FCK-Sicht dagegenzuhalten. Und das weiß auch Marco Kurz. Er muss seinen Spielern klar machen, dass die Mainzer nur über die Tugenden zu schlagen sind, die seine Mannschaft im Bayern-Spiel gezeigt hat - hundertprozentige Laufbereitschaft, große Zweikampfstärke und diese unerhörte Effizienz, die den Bayern am vergangenen Spieltag den Drei-Punkte-Zahn gezogen hat.

Viele Wechsel wird es in der Startelf nicht geben. Warum auch? Natürlich wird Kurz den Spielern das Vertrauen schenken, von denen er weiß, dass sie seine taktischen Vorgaben am besten umsetzen können. Er benötigt allerdings einen Ersatz für den gelb-rot gesperrten Ivo Ilicevic - gegen die Bayern noch Schütze des Führungstreffers. Steven Rivic durfte im Testspiel gegen den FK Pirmasens auf der linken Seite 90 Minuten ran. Er ist natürlich ein Kandidat. Ein anderer wäre Chadli Amri, der Ex-Mainzer, der nach schwachem Auftritt im DFB-Pokal in Osnabrück erst einmal die Härte der Reservebank kennen lernte. Ich hege hier keine Präferenzen, denn Marco Kurz wird genau wissen, welcher Spieler im Training den besten Eindruck hinterlassen hat. Aber: Gegen ein "Ausgerechnet Amri" hätte ich am kommenden Sonntag überhaupt nichts einzuwenden.

Freuen wir uns also auf ein ganz normales Fußballspiel zwischen einer extremistisch-karnevalistischen Fahrstuhlmannschaft und einem abgehalfterten Bundesliga-Ex-Schwergewicht.

Cheers
Bahli


In der Couchingzone befinden sich neben Berti und Bahli auch noch Kohlmeyer und Butduma. Die Kolumne erscheint spätestens jeweils Freitag um 12:00 Uhr oder an Spieltagen zur gleichen Zeit bei allen Pflichtspielen.

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You want it darker
We kill the flame

Leonard Cohen (1934-2016)

Dieser Beitrag wurde zuletzt von bahli77 am 09.09.2010 um 13:43 Uhr bearbeitet
Die Couchingzone |#5
17.09.2010 - 12:36 Uhr
Ausgabe 5: Jede Menge Blicke


Von Bertikoks



Rückblick

Der Fußballfan im Allgemeinen und der Lauterer im Besonderen neigt zu Extrempositionen. Vielleicht beinhaltet die natürliche evolutionäre Entwicklung im Leben eines Fußballfreundes, dass man die daraus folgenden Bewertungskurven mit den Jahren ein wenig zu glätten lernt. Okay, ich weiß schon noch aus dem Biologieunterricht, dass ein evolutionärer Prozess sich über mehrere Generationen hinzieht, bevor er sich manifestiert. Aber Freunde, durchlebt ein Fußballfan nicht schon während einer einzigen Saison, ja manchmal sogar während eines einzigen Spiels, mehrere Leben? Sterben wir nicht alle einen kleinen Tod, wenn unsere Mannschaft in Rückstand gerät? Und stehen wir nicht wieder auf, wenn der Ausgleich gelingt? Wer jemals Spiele erlebt hat, bei denen die eigene Mannschaft zum Beispiel in Unterzahl einen Rückstand in einen Sieg verwandeln konnte, der weiß mit welch innerer Befriedigung man ein Fußballstadion verlassen kann. Das kann man dann durchaus mit einer Wiedergeburt vergleichen. Während also vor einer Woche noch erbittert um die Erhöhung der Bierpreise am Betzenberg diskutiert wurde, sehen manche nach der Niederlage in Mainz den Untergang nahen. Seid beruhigt. Dem ist nicht so. Jedenfalls nicht mehr als letzte Woche. Um es vorweg zu sagen, wir haben unglücklich, aber letztlich verdient verloren. Und unglücklich war es wohl nur deshalb, weil wir solange geführt haben. Denn wenn man es genau betrachtet, haben wir in der zweiten Halbzeit nicht mehr allzu viel zustande gebracht. Klar, Lucky hätte das zweite Tor machen können, aber unsere Chancenverwertung ist aktuell so gut, dass dieses Ding schon allein aus statistischen Gründen nicht drin sein konnte. Eine hundertprozentige Verwertung kann es im Mittel über mehrere Spiele einfach nicht geben. Was bleibt also, wenn man von der Frage nach dem Zustandekommen der Gauß'schen Normalverteilung in Bezug auf die Nutzung von Torchancen mal absieht? Nichts. Zumindest nichts in der Vergangenheit. Gefragt ist der Blick nach vorn. Schauen wir also mal was da kommen mag.


Ausblick

Zum aktuellen Spieltag begrüßen wir die TSG aus Hoffenheim am Betzenberg. TSG? Heißen die nicht 1899? Ja richtig. Aber erst, seit man dem Mäzen vorgeworfen hat, seinem Kunstprodukt fehle es an Tradition. Bei diesem Seitenhieb in die einzig offene Flanke unseres kommenden Opponenten wollen wir es dann aber auch belassen. Denn wir alle haben in den letzten Jahren lernen müssen, dass es kein Geburtsrecht auf einen Startplatz in der Bundesliga gibt. Was am Ende des Tages zählt ist die Leistung im Vergleich zum Wettbewerber. Und sonst gar nichts. Dass es leichter sein kann, den Wettbewerber zu übertrumpfen, wenn man ein scheinbar unerschöpfliches Budget geschenkt bekommt, steht außer Frage. Dass man aber unter Einsatz von viel Geld auch viel Mist machen kann, muss gerade einem FCK Fan nicht besonders ausführlich erklärt werden. Insofern neige ich dazu, den Verantwortlichen in Hoffenheim zunächst einmal zur guten bisher geleisteten Arbeit zu gratulieren. Der Gegner müsste uns, trotz der individuellen Überlegenheit, eigentlich eher liegen. Denn eben diese individuelle Klasse wird ihn zwingen, das Spiel zu machen. Und eben dies kommt uns entgegen. Unser Problem ist, wie wir bereits in Mainz, aber eben auch in den beiden Partien zuvor beobachten durften, nicht direkt das kreative Mittelfeld. Ein Spiel kreativ zu bestimmen, es zu gestalten, ihm Tempo und Laufwege aufzuzwingen ist unsere Sache zumindest derzeit trotzdem noch nicht. Als wir in Köln in Überzahl gerieten, begannen auch unsere Schwierigkeiten. Und die waren so ausgeprägt, dass der FC mit einem Mann weniger teilweise in der Lage war, dass Spiel selbst zu lenken. Das scheint mir auch der richtige Zeitpunkt um einer hier immer wieder geäußerten These entgegen zu treten: Adam Nemec ist kein verkappter Zehner. Er kann, wie weiland Carsten Jancker, einen Ball annehmen und ihn quer verteilen. Den öffnenden Pass in die Spitze beherrscht er jedoch nicht. Was aber ist er dann? Ein Zehner ist er aus den genannten Gründen nicht. Für einen Stürmer strahlt er zu wenig Torgefahr aus. Manchmal, wenn eine Anspielstation in hektischem Spiel für den langen Ball gesucht wird, ist er sehr gut zu gebrauchen. Also eine Art „Turm in der Schlacht“, der uns in bestimmten Spielsituationen gut zu Gesicht steht. Aber reicht das für einen Bundesligaspieler? Auf die Dauer wohl nicht. Die Frage die Nemec in dieser Saison beantworten muss lautet: Kann er sich weiter entwickeln?

Schulterblick

Ein Turm in der Schlacht, wenn auch am Spielfeldrand, ist traditionell unser Torwarttrainer Gerald „Gerry“ Ehrmann. Als die Mainzer sich mit unfairen Mitteln in der Schlussphase des „Derbys“ – auch ich bin mir übrigens nicht sicher ob dieses Derby wirklich eines ist – etwas Zeit verschaffen wollten, setzte „Gerry“ zum Sprint an. So wie er es immer tut und immer getan hat, wenn er seinen FCK benachteiligt sieht. Dass eine Fernsehstation dabei offenbar seine Geschwindigkeit gemessen hat, ist natürlich absurd. Spielt es tatsächlich eine Rolle wie schnell sich Ehrmann bewegt? Ich weiß nicht ob es wirklich bedeutsam ist, wie schnell unser Torwartschmied auf jemanden zusprintet. Wenn der Berg ins Rutschen gerät, ist doch eher die Tatsache, dass er rutscht furchteinflößend, als die Frage mit welcher Geschwindigkeit er das tut. Die spontane Furcht in den Augen von Tuchel konnte man jedenfalls auch am Fernseher gut sehen – obwohl, für „Gerry“ gilt ja der klassische Satz aller Hundebesitzer: „Keine Panik, der tut nichts.“ Und wenn doch, dann sind wir gut versichert. Zum Abschluss eine Bitte. Mach einfach so weiter Gerald Ehrmann. Deinen Porsche möchten wir nämlich auf dem Parkplatz des Trainingsgeländes sehen, bis er auseinanderfällt. Aber, je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger glaube ich, dass der eines Tages dort nicht mehr steht. Es sei denn „Gerry“ kauft sich ein neues Auto.

Bis dahin.

Gruß Berti



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Bertikoks - Transfermarkt since 2003. Originalmitgliedsnummer 1686. Keine anonyme Kritik: FCK MGLD 2151

Dieser Beitrag wurde zuletzt von Vinnie_Jones am 17.09.2010 um 23:17 Uhr bearbeitet
Die Couchingzone |#6
21.09.2010 - 09:08 Uhr
Ausgabe 6: The english week – als die Bundesliga noch jung und verrückt war

Von Butduma

Irrenhaus im Oberhaus…

Englische Woche, Bundesliga zart bis blutig und irgendwie doch nicht so richtig durch… zumindest der letzte Spieltag noch nicht. Halbwegs unverdaut gilt es, sich bereits mit dem nächsten Gegner zu messen, auch wenn die Knochen rein kräftemäßig etwas abgenagt sind. Doch nun weg von der karnivoren Küche, hin zur Weltpolitik…

Zurzeit hat die Bundesliga was von den Allüren eines Schurkenstaates: Sie ist unberechenbar und respektlos gegenüber den allgemein gültigen Normen. Es sind die Kleinen, welche die Macht für sich beanspruchen und die Bundesliga-Welt auf den Kopf stellen. Doch die TV-Experten und Auslandskorrespondenten wiegeln bereits ab und weisen darauf hin, dass irgendwie und irgendwann alles wieder zu seinem ursprünglichen Gleichgewicht zurückfinden wird – die Guten, Reichen und Schönen oben und die Schlechten, Armen, Hässlichen unten, dazwischen die Spassfussballer der Nation, die mit ihrem Kult und ihren famosen Polonäsen jedweden Fan erschlagen… da bleibt kein Platz trocken. Während also St. Pauli und Mainz im Laufe der wenigen Trainingstage, die in solch einer englischen Woche verbleiben, neue Choreografien an den Übungseckfahnen aus Gummi einstudieren, drückt man in Mönchengladbach bestimmt die kollektive Euphoriebremse ganz weit durch. Mit äußerster Konsequenz hat man es dort in nur einer Woche Bundesliga geschafft, jedem der elf Mannen ein Gegentor zu schenken, da ist dann auch keiner beleidigt… praktizierte Gerechtigkeit in Gladbach. Und nein, ich möchte hier keine Schadenfreude verbreiten, denn ich bin mir sicher, dass die Fohlen ebenso wieder auf die Spur finden werden wie die Bayern aus München oder die Wölfe aus Rotkäppchen. Lediglich bei den Knappen aus Gelsenkirchen ist es nicht gewiss, ob das Saisonziel wirklich nur knapp verpasst wird. Großschleifmeister Magath muss unter Beweis stellen, dass er seinen selbst gebauten bunten Haufen aus Jungspielern, Altstars und teuren Namen wieder auf Linie bringen und die ersten Punkte der Saison ergattern kann – Freiburg wartet mit seinem senegalesischen Importschlager Cissé und wird sicherlich die Zähler im Breisgau behalten wollen.

Im Notfall wird selbstbewusst durchgejuckt…

Für Kaiserslautern geht die Reise zum Ex-Vorzeige-05er „Kloppo“ nach Dortmund… Stadtname, bei dem ich immer an diese unsäglichen gelben T-Shirts mit schwarzer Schrift und dickem Pfeil denken muss, die in diversen Jugendkatalogen vermarktet wurden und bei ebenso diversen Schullehrern zu pädagogischen Extasen führten. Oben erwähnter Trainer hat die Borussen auch ohne Spezial-Shirt zu einer verschworenen Mannschaft zusammengeschweißt, die jung und laufstark sowie spielerisch beschlagen ist. Spätestens seit dem Revier-Derby ist Dortmund zudem in der ökologischen Neuzeit angekommen. Nix mit ruhrpottgerechte(m) Kohle(r) und tiefschwarzem Koks, man setzt auf kleine, effiziente Spieler mit geringem Transfermittelverbrauch der japanischen Marke Kagawa – man sahin bereits in der Sport1-Werbepause. Da muss sich Kurz etwas einfallen lassen, um mit seinen Teufeln der einzigen deutschen Fussball-AG Paroli zu bieten. Nachdem Hoffer die Lauterer gegen Hoffenheim nicht nur hoffen, sondern glauben ließ und man die Kraichgauer Tempofussballer der TSG auf dem Betze ganz nah am Tellerrande einer Niederlage hatte, können aber auch die Pfälzer mit dem selbständigen Notbewusstsein anreisen, um die Borussia zu ärgern. Stichwort „Not“: Für den Notfall hat Gerry Ehrmann die letzten Tage jede Menge Hagebutten gelesen und ausgepult. So kann man den Dortmundern im Falle einer Niederlage zumindest Juckpulver ins Trikot rein tun. Das ist ja auch fies… wenn auch nicht so fies wie gewinnen beim Verkehrsignal „Iduna-Park“ (Bundesliga-Konfiguration 80 720 Zuschauer).

Es drucklos einfach besser machen…

Ich werde mich am Mittwoch Abend jedenfalls verspannt zurücklehnen und das Geschehen aus der Ferne betrachten, wohl wissend, dass die Roten Teufel trotz ungünstigem Termin von jeder Menge Auswärtsfahrer unterstützt werden, darunter auch bekannte Forumsgrößen. Ein Schlagerspiel, nach welchem sich viele Lautrer seit den letzten vier Jahren die Finger leckten, es geht gegen einen alten Bundesligagefährten mit immensem Fanaufkommen, der nicht nur dank Biene Maja ein positives Ansehen genießt. Zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt, da ich mir die Diskussionen im Spieltagsthread nach alter Geizhalsmanier erspart habe. Es stimmt positiv, dass der größte Druck mit aller Wahrscheinlichkeit in den Reifen des Mannschaftsbusses herrschen wird, die Jungs, die drin sitzen – im Bus, nicht in den Reifen – sollten sich keinen Kopf machen und einfach befreit aufspielen, das können wir uns beim aktuellen Punktestand leisten und auch die Erfolgsaussichten sind so am größten. 7 Punkte aus vier Spielen sind der Baldrian fürs Nervenkostüm, die Punkte, die man gegen Mainz und Hoffenheim liegen ließ, sind der Ansporn, es dieses Mal noch besser zu machen.

In diesem Sinne!

Ba beneen,
Butduma


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SAPERE AUDE
- Wage es, weise zu sein -

oder nach Immanuel Kant
"Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Dieser Beitrag wurde zuletzt von Butduma am 21.09.2010 um 09:09 Uhr bearbeitet
Die Couchingzone |#7
23.09.2010 - 08:36 Uhr
Ausgabe 7: Was soll einem Pfälzer zu Hannover einfallen?


Das musste ja so kommen. Vor vier Wochen, zum Start in diesen erlauchten Kolumnistenkreis, durfte ich auf das Spiel gegen den FC Bayern vorausblicken, eine Partie, bei deren bloßer Erwähnung sich bei jedem FCK-Fan meiner Generation Emotionen, Eindrücke und Erinnerungen fast schon durchfallartig Bahn brechen. Ich gestehe sogar: Ich hatte bei den Kolumnistenkreisvorständen extra drum gebeten, zu meiner Premiere mit dem Blick aufs Spiel der Spiele betraut zu werden.

Für diese Anmaßung präsentiert der Weltgeist mir nun die Quittung: Ich soll auf Hannover 96 einstimmen. Was um Teufels Willen soll einem FCK´ler Jahrgang 62 bitteschön zu Hannover 96 einfallen? Wäre ich 20 Jahren älter, könnte ich wahrscheinlich mit irgendwelchen historischen Duellen aus Fritz-Walter-Zeiten eröffnen, aber jemand, der sich in den 70er Jahren fußballerisch sozialisierte - sorry.

Mir stinken Gobal Thinker

Wir wollen diesen Kolumnistenkreis ja nicht nutzen, um gegen unsere kommenden Gegner billig zu polemisieren - deswegen hoffe ich jetzt auf ein bisschen augenzwinkerndes Verständnis mitlesender 96-Fans. Aber was ich persönlich mit Hannover 96 verbinde, stimmt, nun ja, eher befremdlich. Einen Unternehmertypen wie Martin Kind etwa, einen von diesen neuen Global Thinkern, bei deren meiner Generation halt eher blümerant wird. Ein verzockter Stadionneubau mit viel zu flachen Tribünen, aus denen viel zu viel Atmosphäre entweicht. Ein Fan wie Oliver Pocher - okay, das war jetzt unfair.

Auch wenn man das 96 vor Hannover weglässt, assziiere ich nicht viel mehr. Ein egomanischer Ex-Bundeskanzler, der sich heute die Taschen bei der Russenmafia vollmacht. Ein dröger Bundespräsident, der bei seiner Wahl einer ungleich besseren Kandidaten ausstach, weil sich seine Wähler nicht trauten, sich von ihren parteitaktischen Zwängen freizumachen. Immerhin: Eine First Lady, die tätowiert ist - das ist doch schon mal was.


Warum wir wissen, dass wir nichts wissen


Kohli? - höre ich eine mahnende Stimme rufen, und noch einmal: KOHLI - VERGISST DU DA NICHT WAS? Scheizze - die Betroffenheitsfraktion. Das konnte ja nicht ausbleiben.

Es könne ja wohl nicht sein, dass jemand wie ich in der jüngsten Vergangenheit Hannover 96 kaum wahrgenommen hat, höre ich die selbsternannten Gutmenschen greinen. Da war doch letztes Jahr etwas, was die ganze Fußballwelt in ihren Grundfesten erschütterte, rufen sie, das heißt, eigentlich "mahnen" sie ja lieber, und schon setzen sie ihre schönste Betroffenheits- und Anteilsnahmiene auf: Ja. Die Trägödie. Wie kannst du so tun, als hätte es sie nicht geben? ER - du weißt schon. Die ewige Nummer 1 unserer Herzen. RIP.

Ach ja. Also, ich hätte überhaupt kein Problem damit, hier nur über Fußball zu reden, und ich würde mich dabei noch nicht mal herz-, respekt- oder gar pietätlos fühlen. Im Gegenteil. Ich finde, genau das ist der Respekt, den man einem Verstorbenen erweisen sollte, den man persönlich nicht gekannt hat: In einem Babblerforum nicht so tun, als hätte man ihn gekannt. Oder sich gar anmaßen, eine private Tragödie einigermaßen gehaltvoll durchleuchten zu können.

Denn wenn diese Tragödie was gezeigt hat, dann einmal mehr, wie wenig uns die modernen Medien über einen Menschen tatsächlich vermitteln. Dadurch, dass sie jemanden oft ins Bild rücken, machen sie uns glauben, wir würden ihn kennen. Die Fernseher, in die wir gucken, haben heute sogenannte Flachbildschirme, und die passen zu diesem Medium auch im übertragenen Sinne wunderbar: So flach wie die Schirme sind auch die Bilder, die sie zeigen - zweidimensional, ohne Tiefe. Sie zeigen uns einen erfolgreichen Sportler, auf der Tribüne seine schöne Frau, und wir denken uns, was kann dieser sicherlich wohlhabende und talentierte, junge Mann schon für Probleme haben, wie kann so einer Selbstzweifeln, Depressionen und anderen Dämonen geplagt werden. Tatsächlich wissen wir nichts.

Außer, dass nach seinem plötzlichen Tod die Betroffenheitsfraktion Klagelieder anstimmt und die notorischen Babbler aus den Ecken gekrochen kommen, die die Tragödie vorausgesehen haben, aber auf die ja keiner gehört hat - Herr Daum, nehmen Sie lieber noch ne Nase. Und dass natürlich die Gutmenschen auf den Plan treten, die am offenen Grab darüber schwadronieren, dass eine solche Tragödie für uns alle ein Anlass sein sollte, inne zu halten und darüber nachzudenken, wie wir künftig miteinander umgehen.

Inne gehalten wurde sicherlich, aber die Welt drehte sich hinterher genauso weiter wie nach dem 11. September. Sie war nach wie vor die gleiche geblieben, auch wenn die hübsche "heute"-Moderatorin in ihrem Entsetzen damals glaubte, sie würde es nicht, und sie daraufhin jeder zitiert hat.


Holländer, die Deutsche mögen? Verdächtig


Auf jeden Fall ist diese Tragödie weder ein Grund, Hannover 96 besonders zu mögen, noch, Hannover 96 nicht zu vermögen. Das war einfach nur der letzte Verein des Verstorbenen, dessen Trägödie nun Teil der Privatsphäre seiner Hinterbliebenen ist. Und sich anlässlich eines Fußballspiels zwischen dem 1.FC Kaiserslautern und Hannover 96 ihr nicht weiter zu widmen, ist keine Respektlosigkeit, sondern Ausdruck des Respekt eben dieser Privatsphäre.

So. Jetzt habe ich darüber doch mehr geschrieben, als ich wollte. Zurück zum Fußball. Aktuell sammelt Hannover 96 ja durchaus auch Sympathiepunkte bei Fußballkonsumenten wie mir, die nur den eigenen Verein stets über volle 90 Minuten sehen und die andere eigentlich immer nur in den Zusammenfassungen. Gäbe es die Mainzer nicht, wären wohl die Hannoveraner gegenwärtig die Überraschungsmannschaft der Saison, doch sie sollten sich nicht grämen, dass die Rheinhessen ihnen zur Zeit die Medienaufmerksamkeit stehlen - abgerechnet wird bekanntlich am Schluss.

Dass ein Trainer verantwortlich zeichnet, der zu Beginn der Saison bei den Buchmachern schon zum Abschuss freigegeben war, gefällt mir natürlich, und der Fußball, den er spielen lässt, sieht zumindest in den Zusammenschnitten recht erfrischend aus. Besonders angetan hat es mir Didier Ya Konan. Ich gucke einfach lieber solchen Jungs zu als sogenannten Stars, die ihren Zenit längst überschritten haben, die jetzt aber sogar dutzendweise nochmal in der Bundesliga an den Geldtropf hängen dürfen. Natürlich freut es mich, dass es uns die Holländer wenigstens als Arbeitgeber wieder mögen, aber ich werde den Verdacht nicht los, es liegt nur daran, weil wir Deutschen immer pünktlich unserer Gehälter zahlen. Gott sei Dank haben wir keine Kohle mehr für diese kickenden Luxusdirnen.

Und wie siehts sonst bei uns aus?

Nun ja. Die Klatsche in Dortmund war schlimm, und ich kann nur hoffen, dass sich die Kurzknaben nun nicht die unbekümmerte Spielfreude nehmen lassen, die mich gegen Hoffenheim noch so begeisterte. Und die hoffentlich gegen Hannover wieder zurückkommt.


In diesem Sinne
Kohlmeyer

In der Couchingzone befinden sich neben Berti und Bahli auch noch Kohlmeyer und Butduma. Die Kolumne erscheint spätestens jeweils Freitag um 12:00 Uhr oder an Spieltagen zur gleichen Zeit bei allen Pflichtspielen.

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"Du kannst auf deinen Verein stolz sein, aber eigentlich nicht auf die Tatsache, ein Fan dieses Vereins zu sein. Denn die Fan-Werdung vollzieht sich bekanntlich ähnlich wie die sexuelle Orientierung: Da kommt etwas über dich, das du nicht beeinflussen kannst. (...) . Du kannst deinem Verein nicht einfach die Gefolgschaft kündigen. Du kannst deinem Verein nicht den Tritt versetzen. (...) Du kannst deinen Verein nicht einfach loslassen, denn er hält an dir fest."
Thomas Brussig
Die Couchingzone |#8
30.09.2010 - 21:42 Uhr
Ausgabe 8: Willkommen in der Realität

Von Bahli


Es gibt Dinge, die meidet der Mensch wie der Teufel das Weihwasser. Stellt sich zu gegebener Zeit die K-Frage, winden sich plötzlich Politiker aller Farben wie gleichnamige Magnetenpole. Ähnlich ist es mit der Favoritenbürde. Keiner will sie tragen. Am besten redet man direkt einmal den Gegner stark, um der Bürde zu entgehen. Kreuzt das Abstiegsgespenst den Weg des Fußballfans, lässt er nachts lieber die Nachttischlampe brennen. Ein bewährtes Mittel. Seit einer Woche sollte auch der Fan des 1. FC Kaiserslautern nicht mehr im Dunkeln schlafen. Es ist da, es ist hervorgekrochen. Das Abstiegsgespenst geht nun auch am Betzenberg um.


Der märchenhafte Saisonstart ist Ernüchterung gewichen

Nein. es war nicht die 0:5-Klatsche im Dortmunder SIGNAL IDUNA Park, dem ehemaligen Westfalenstadion. Bei diesem sensationell aufspielenden BvB kann man verlieren. Bei der Höhe der Niederlage muss man zwar kurz Luft holen, hat sie aber trotzdem einigermaßen schnell abgehakt. Ernüchternd ist da schon eher die Heimniederlage gegen Hannover 96 am vergangenen Sonntag. Mit Hannover trat eine Mannschaft auf dem höchsten deutschen Fußballberg an, mit der man sich auf Augenhöhe sieht. Als Ergebnis fanden sich nicht nur null Punkte auf dem Konto, sondern auch die Erkenntnis, dass gerade diese Mannschaften, mit denen man sich leistungsmäßig auf einem Level sieht, verdammt schwer zu spielen sind. Verdammt schwer zu spielen sein werden. Hannover schoss zwei Mal auf das Lautrer Tor, traf einmal und machte anschließend mit hoher Laufbereitschaft geschickt die Räume eng. Die Folge war, dass der FCK sein gegen die Bayern und Hoffenheim so leidenschaftlich praktizierten Tempofußball nicht initiieren konnte. Einem Rohrkrepierer gleich verpufften derartige Versuche im Ansatz. Man kann der Mannschaft von Marco Kurz im Grunde genommen keinen Vorwurf machen. Sie rannten, kämpften und hatten sicherlich auch ein wenig Pech. Aber am Ende stand nach 90 durchwachsenen Minuten die Null auf der Anzeigetafel. Verloren wurde das Spiel im Kopf. Ich befürchte, dass sich die FCK-Fans genau an diese Spiele gewöhnen müssen. Nicht an Niederlagen wohlgemerkt, sondern an Spiele, bei denen neben Lauf- und Kampfstärke auch der Kopf gefragt ist. Die Ideen- und Konzeptlosigkeit begann in den Köpfen der Spieler. Hoffentlich kein Vorgeschmack auf die weitere Saison.


Eine realistische Sicht der Dinge ist angebracht

Zugegeben, das zu Beginn der Kolumne skizzierte Abstiegsgespenst ist sicherlich eine leicht verfrüht verwendete Metapher. Es ist aber trotzdem wesentlich realistischer als der zu Beginn der Saison gewagte Blick ins Jahr 1998. Aktuell stehen sieben Punkte und damit Tabellenplatz elf auf der Habenseite. Das ist erst einmal aller Ehren wert. Trotzdem sollte man sich den Blick auf die Realität nicht verstellen. Der 1. FC Kaiserslautern wird sich auf die zweite Tabellenhälfte konzentrieren müssen. Das Ziel heißt nach wie vor Platz 15. Klassenerhalt. Und der geht nicht allein mit dem Brennenlassen der Nachttischlampe. Das Saisonziel erfordert ein enges Zusammenrücken von Trainer, Mannschaft und Fans. Ich war gegen Hannover nicht im Stadion, hatte aber das Gefühl, dass die Einheit aus Mannschaft und Fans leicht bröckelte. Auch, wenn die Heimniederlage gegen Hannover schmerzlich war. Sie sollte nicht zu Unzufriedenheit bei den Fans - also uns - führen. Der FCK rannte, kämpfte, wollte. Einzig er konnte nicht. Das allein sollte kein Grund zum Hadern sein. Der 1. FC Kaiserslautern ist nach einem Traumstart und dem großartigen Sieg gegen den großen FC Bayern in der Realität angekommen. Und ganz ehrlich muss man auch feststellen, dass fünf dieser sechs Auftaktspiele gegen absolute Spitzenteams zu absolvieren waren. Ihr meint, ich scherze. Ein Blick auf die Tabelle lohnt sich in diesem Zusammenhang. Auf den ersten vier Plätzen finden sich mit Mainz, Dortmund, Hannover und Hoffenheim unsere letzten vier Gegner. Und über den FC Bayern müssen wir hier gar nicht diskutieren. Apropos Blick auf die Tabelle. Eine Sache brennt mir unter den Nägeln ...


Exkurs: Wie zum Teufel kommt die Eins vor Null Fünf

Zugegeben: Es ist für einen FCK-Fan schwer zu ertragen, die Null-Fünfer winkend, singend und grinsend fußballerisch von oben grüßen zu sehen. Kaum zu ertragen ist das. Komm Bahli, lass mal ein wenig Dampf aus dem Kessel und denke anschließend darüber nach, was die derzeitige Tebellenkonstellation sonst noch so auszusagen hat. Zum Beispiel, dass da ein Verein die Bundesliga anführt - andere nenne dies rocken -, der im Grunde ähnlich bescheidene Brötchen backen muss wie der FCK. Sagen wir es doch einfach einmal frei heraus. Man muss den Mainzern Respekt zollen. Nicht nur, weil sie Tabellenführer sind. Sechs Spiele in Folge gewonnen haben. Sie spielen herzerfrischenden Fußball und sie ziehen den Bayern sogar zu Hause die Lederhosen aus. Und gerade hat Bundestrainer Jogi Löw angekündigt, mit Lewis Holtby und André Schürrle in Kürze zwei Debütanten in die Nationalmannschaft zu berufen. Es ist also auch mit wenig Budget möglich, Erfolg zu haben. Natürlich wäre es dem FCK-Fan lieber, dass dieses Exempel doch wenn schon, dann vom pfälzer Bundesligisten ausgeführt wird. Aber liebe FCK-Fans, was noch nicht ist, kann durchaus noch kommen. Wenn nicht diese Saison, dann vielleicht in der nächsten. Spätestens aber in der übernächsten. Oder so. Solange wird uns aber nichts anderes übrig bleiben, als die Mainzer an der Tebellenspitze zu ertragen und freundlich zu lächeln und zurückzuwinken.


Und jetzt wartet der HSV - ein richtiges Bundesliga-Schwergewicht

Spiele gegen den Hamburger SV waren schon immer etwas besonderes. 87 Spiele in der Bundesliga und dem DFB-Pokal sind ein Beleg für einen absoluten Bundesliga-Klassiker. Hamburger SV gegen den 1. FC Kaiserslautern - die Bilanz spricht für den Bundesliga-Dinosaurier aus der Stadt an der Elbe - 41 Siegen stehen 19 Unentscheiden und 27 Niederlagen gegenüber. Bemerkenswert: Torarm waren die Begegnungen gegen die Hanseaten nur ganz selten. Diese 87 Spielen weisen gerade einmal zwei torlose Unentschieden auf. In der Regel fand der Ball aber einigermaßen häufig den Weg über die Linie. In meiner Erinnerung findet sich sofort der 3:2-Auswärtserfolg des FCK am 4. Spieltag der Saison 2001/02. Ein gewisser Lincoln machte damals mit zwei Toren auf sich aufmerksam. Und Jeff Strasser jagte den Ball zum 3:0 in den Winkel des von Martin Pieckenhagen gehüteten HSV-Tores, wie man es dem Luxemburger in den kühnsten Träumen nicht zugetraut hätte. Diese Saison 2001/02 war übrigens eine aus FCK-Sicht äußerst interessante. Der Sieg beim HSV war der vierte Sieg im vierten Spiel. Insgesamt startete das von Weltmeister Andy Brehme trainierte Lautern damals mit sieben Siegen am Stück. Am Ende verspielte man mit Platz sieben das internationale Geschäft. Aber das ist Geschichte. Ebenso wie der letzte Sieg gegen den HSV am 18. September 2004 - Ferydoon Zandi und Marco Engelhardt sorgten damals mit ihren Treffern für einen 2:1-Erfolg.

47 Jahre spielt der Hamburger SV ununterbrochen in der Fußball-Bundesliga. Bemerkenswert. Ebenso bemerkenswert sind die Versuche der Hamburger, den Weg zurück in die europäische Eliteklasse zu finden. Der aktuelle Kader ist gespickt mit nationaler und internationaler Klasse. Mit dem Holländer Ruud van Nistelrooy hat man einen eiskalten Vollstrecker von internationaler KLasse. Mladen Petric, Zé Roberto, Joris Mathijsen, David Jarolim, Paolo Guerrero oder Frank Rost zählen zur gleichen Liga. Und, wenn wir gerade dabei sind, möchte ich noch Heiko Westermann, Dennis Aogo, Marcell Jansen und Piotr Trochowski nennen. Allesamt deutsche Nationalspieler und WM-Teilnehmer. Ok, Westermann hat sich kurz vor WM-Beginn verletzt und musste passen. Der HSV - ein großer Name mit vielen großen Namen im Team. Aber in den beiden vergangenen Spielen - Analogie des Schicksals - lief es für die Hanseaten auch nicht rund. 2:3 im großen Nordderby gegen Werder Bremen, davor eine 1:3-Heimniederlage gegen den VfL Wolfsburg. Da ist noch mächtig Sand im Getriebe. Zudem fällt Mlden Petric gegen den FCK definitiv mit einem Sehnenriss aus, der Einsatz von Guy Demel und Marcell Jansen steht auf des Messers Schneide. Der HSV steht gegen Kaiserslautern unter dem Druck der Wiedergutmachung. Ein Vorteil?

Was soll man dem 1. FC Kaiserslautern für die kommende Begegnung raten? Offensiv ins offene Messer laufen oder doch eher ruhig und besonnen erst einmal die Null halten? Schwer zu sagen. Manchmal bin ich froh, dass ich kein Trainer bin. Marco Kurz ist nicht zu beneiden. Nach zwei Niederlagen hintereinander stehen auch die Lautrer ein wenig unter Druck. Die Anfangseuphorie ist verflogen, die Realität hat Einzug gehalten. Natürlich kann man beim HSV verlieren. Aber der Druck wird dann in den nächsten Spielen deutlich zunehmen. Mit jeder weiteren Niederlage kommt man den gefürchteten Abstiegsplätzen näher. Und das sollte man tunlichst vermeiden. Also doch auf Sieg spielen? Ich fürchte, das sollte das Ziel sein. Aber natürlich nicht mit fliegenden Fahnen. Spielkontrolle, Lauf- und Kampfstärke sollten geeignete Mittel sein, um dem HSV die Räume eng zu machen und ihn nicht zur Entfaltung kommen zu lassen. Ich hoffe, unsere Jungs haben etwas aus der Heimniederlage gegen Hannover gelernt. In der momentanen Situation geht es nicht darum, einen Schönheitspreis zu gewinnen. Es geht darum, Punkte zu holen. Das Wie ist dabei absolut zweitrangig. Und das hoffe ich auch für den kommenden Samstag.


Cheers
Bahli


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You want it darker
We kill the flame

Leonard Cohen (1934-2016)
Die Couchingzone |#9
15.10.2010 - 11:52 Uhr
Ausgabe 9: Jede Menge Kohle


Kleines Geld

Fußballprofi ist ein Traumberuf. Jedenfalls dann, wenn man ihn ins Verhältnis setzt mit all den anderen Tätigkeiten dieser Welt die man für Geld - und damit letztlich zum Lebensunterhalt ausüben kann. Die Einstiegsgehälter, die wir gern als "kleines Geld" bezeichnen, liegen oftmals höher als das Salär eines Akademikers im mittleren Teil seines Berufslebens. Wenn man sich verdeutlicht, was die Stars der Branche verdienen, kann man schon mal mit dem Kopf schütteln. Insbesondere dann, wenn man die für den Normalverbraucher irrsinnigen Zahlen auf ein für uns nachvollziehbares Maß reduziert. So verdient zum Beispiel Frank Ribéry, wenn man den veröffentlichten Quellen wie den Angaben in "France Football" glauben mag, rund sechzehn Euro. Allerdings braucht er dafür nicht eine Stunde zu arbeiten, sondern nur eine Minute. Frank Ribéry verdient also sechzehn Euro in der Minute. Und zwar nur dann, wenn man nicht nach Arbeitszeit rechnet, sondern nach Lebenszeit. Ribéry verdient seine sechzehn Euro pro Minute nämlich rund um die Uhr. Also auch wenn er schläft. Und er bekommt sie netto. Tag für Tag. Woche für Woche. Nun könnte man meinen, ein solches Gehalt wäre absurd. Aber eigentlich bekommt Ribéry nur, was er uns wert ist. Denn nur die Spieler, die wir unbedingt spielen sehen wollen, können so viel verlangen. Der Weg an die Spitze des Gewerbes ist lang und auch hart. Ribéry wäre zwischenzeitlich fast gescheitert. Viele andere sind es. Von einigen kennen wir die Namen. Von anderen kennen wir sie nicht. Zwischenzeitlich, während ihrer Zeit als Jugendspieler, galten sie vielleicht als große Talente, träumten von der großen Karriere, blieben dann aber irgendwo auf der Strecke. Denn es gibt nur wenige Arbeitsplätze für Fußballprofis. Und mit jedem weiteren Jahr in der Jugend steht man erneut auf dem Prüfstand. Man muss sich neu beweisen. Die Scouts überzeugen. Neu auffallen. Besser sein. Den nächsten Schritt machen. Und weil immer wieder so viele ausgesiebt werden, bleibt ein Leben als Fußballprofi für die meisten von uns ein Traum. Und wegen des netten Verhältnisses von Arbeitszeit und Salär eben auch ein Traumberuf. Steven Zellner ist seit zwei Wochen einer von diesen Berufsfußballern. Er hat seinen ersten Profivertrag in Kaiserslautern unterschrieben. Vielleicht schafft er den nächsten Schritt und kann dauerhaft in diesem Geschäft Fuß fassen. Zu wünschen wäre es ihm. Denn wenn er mehr Geld verdient, ist er uns auch mehr wert. Und wenn er uns mehr wert ist, dann macht er uns auch Freude. Viel Freude hoffe ich.


Lehrgeld

Weniger erfreulich war das Spiel in Hamburg. Es fehlte nicht an Leidenschaft. Auch nicht an der Kampfbereitschaft. Technisches Talent scheint, zumindest teilweise, ebenfalls vorhanden. Einzig an der notwendigen Kaltschnäuzigkeit mangelt es ein wenig. Beinahe Weltklasse, wie Ilicevic den Ball über Rost hebt. Dass die Kugel dann an die Latte springt, kann er nicht beeinflussen. Auch Amedicks wuchtiger Kopfstoß prallt vom Gehäuse ab. Bleibt eigentlich nur die Feststellung, dass uns der Fußballgott derzeit nicht wohlgesonnen zu sein scheint. Da sich solche Unwägbarkeiten jedoch in der Regel auszugleichen pflegen, zumindest über den längeren Zeitraum einer Saison betrachtet, sollte uns nicht ganz so ungemütlich zumute sein. Aber, die Geschichte wäre nicht vollständig, wenn unerwähnt bliebe, dass am Ende doch noch eigenes Zutun eine Rolle gespielt hat, bei der Niederlage. In Spielminute fünfundsechzig nämlich muss Clemens Walch eigentlich das zweite Tor erzielen. Fünf Minuten später fällt stattdessen der Ausgleich. Noch krasser beim Siegtreffer der Hamburger. Da hat Moravek unmittelbar die Chance auf das Führungstor, vertändelt, und im Gegenzug, unter freundlicher Mithilfe unseres Kapitäns, verlieren wir das Spiel. Zwei, vielleicht drei unkonzentrierte Momente und ein Spiel das lange Zeit nach Auswärtssieg gerochen hat, ist verloren. Die Bundesliga ist schnell. Und unsere Mannschaft muss schnell lernen. Die Qualität scheint sie zu haben. Aber die Erfahrung hat sie nicht. Trotzdem gut zu wissen, dass wir den richtigen Trainer an der Seitenlinie haben.


Mehr Geld

Lange Zeit während meines Lebens als Fußballfan zeichnete sich der 1.FC Kaiserslautern vor allem durch eine Leistung aus. Er war seit Gründung der Bundesliga ununterbrochen dabei. Diese Eigenschaft teilte er mit drei weiteren Vereinen: Dem HSV - der zwischenzeitlich mit viel Dusel die Klasse halten konnte und sich heute „Dino“ nennt - dem 1.FC Köln und, der kluge Leser ahnt es schon, der Eintracht aus Frankfurt. Insofern fehlt es dem anstehenden Südwestderby nicht an Tradition. An Brisanz fehlt es ihm scheinbar auch nicht, wenn man die offenbar geistig zurückgebliebenen Trottel der Frankfurter Ultra Szene ernst nehmen mag, die freudig angekündigt haben, das Spiel - ja Freunde es ist immer noch ein Spiel - mit Gewalt zu überziehen. Ultras sind sowieso ein merkwürdiges Volk. Sie stellen den Fußball derart in den Mittelpunkt ihres eigenen Lebens, dass für ein eigenes Leben eigentlich gar kein Platz mehr ist. Das führt im Einzelfall zu gefährlichen Entwicklungen. Denn geborgtes Selbstvertrauen darf nicht beschädigt werden, wenn eigenes nicht an seine Stelle treten kann. Doch für heute soll das reichen. Kommt es wie angekündigt, werde ich mich in der nächsten Ausgabe wohl ausführlicher dem Thema widmen. Bis dahin können wir den armen Bengeln aus Frankfurt das Schlimmste antun, was die sich vorstellen können: Ihrer Mannschaft auf dem hoffentlich friedlichen Betzenberg eine fette Niederlage beibringen. Derweil freuen wir uns einfach über die anderen Besucher aus Frankfurt, sie bringen uns nämlich etwas, dass wir wirklich brauchen: Mehr Geld in die Kasse.

Bis dahin.


Gruß Berti



In der Couchingzone befinden sich neben Berti und Bahli auch noch Kohlmeyer und Butduma. Die Kolumne erscheint jeweils Freitag um 12:00 Uhr oder an Spieltagen zur gleichen Zeit bei allen Pflichtspielen.

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Bertikoks - Transfermarkt since 2003. Originalmitgliedsnummer 1686. Keine anonyme Kritik: FCK MGLD 2151
Die Couchingzone |#10
21.10.2010 - 21:24 Uhr
Ausgabe 10: Wenn das Wörtchen „Wenn“ nicht wär…

Wenn’s kalt wird...

Ein lauter Knall, es spritzt: Der Knoten ist geplatzt! Mario „Chancentod“ Gomez trifft wieder. Diese spektakuläre Show lief am Wochenende unter dem hinreißenden Titel „3 Tore und ein Arm – Als Millioneneinkäufe noch wertvoll waren“. Leidtragende waren die Jungs aus Hannover, die in München mit 3 zu 0 unterlagen und ihren Höhenflug beenden mussten. Unsere lederhosentragenden Freunde aus der Hauptstadt des Freistaats, der zwischen schneebedeckten Bergen und saftgrünen Almen liegt, konnten in der Tabelle nach oben klettern und sich jenen Regionen nähern, welche der gemeine Bayernfan als natürlich gegeben betrachtet. Die Weißwurst kann wieder beruhigt vor sich hinsieden. Übrigens wird es im Moment erneut kälter, nachts zumeist sogar stärker als draußen, insbesondere tagsüber. Das merkt man nicht nur an den länger werdenden Röcken der Mädchen, sondern auch an den feschen Langarmtrikots unserer Fussballstars. Die scheinen so luftwiderständig zu sein, dass sie manchem unserer Kicker die notwendige Luft rauben, um gegen karnivore Vögel aus Finanzzentren (keine Pleitegeier) bestehen zu können, doch dazu später… Es ist also kalt, fast so wie im Winter. Wenn es so klirrend und zitternd ist, dann muss man in den Keller Kohle hohlen, um den heimischen Bauernofen zu befeuern, der einem als unzivilisiertem Landbewohner zu Verfügung steht. Im Keller kann einem dann unerwarterterweise ein Schalke oder VfB begegnen. Dieses Wochenende kam es dann gezwungenermaßen zu einer Auseinandersetzung dieser beiden Kellerkinder, die sich den Platz da unten nicht teilen möchten. Ja, es war aufregend, es war emotional, es war kämpferisch, aber es gab keinen K.O. und dies obwohl in den letzten drei Runden nur noch einer geschlagen wurde. So ist das halt beim Boxkampf. Außerdem ging es 2:2 aus und irgendwie war damit niemandem Recht geholfen, auch nicht dem neuen Trainer der schwäbischen Revolutionsstädtler – Keller eben.

Wenn’s ungemütlich wird…

In Mainz, dem Epizentrum des modernen Narrentums, gab es nach der Egalisierung des Startrekords von Bayern und Kaiserslautern (olé!) die erste Niederlage. Der Rächer in schwarzer Polyester-Short kam aus Hamburg und fügte der kunterbunten Spaßtruppe eine besonders bittere Niederlage zu – erst in der 89. Minute klingelte es in der Kiste von Wetklo (zu Deutsch: Nassklosett). Nach dem Spiel hat es dann auch kräftig getuchelt, da der Mainzer Trainer sich bemüßigt fühlte, dem Schiedsrichter nochmals die Funktionen einer modernen Analoguhr – jene mit den Zeigern – zu erklären. Ob die Unterweisung gefruchtet hat? Die Experten sind geteilter Meinung. Zur Klärung dieser renitenten Frage soll nun bald ein vatikanisches Konzil einberufen werden. Nathan der Weise meint: „Gute Verlierer sehen anders aus.“. Nun gut, von einer richtigen Rede kann trotzdem keine Krise sein. Wer eine Krise möchte, der muss sich schon Richtung Köln oder Gladbach umsehen. Da jubelt der Prinz Poldi nicht nur ungehobelt und ohne Teppich gen Sahin, der die Strafe auf dem Fuße folgen lässt, nein, man lässt sich auch vom FC SAP Sinsheim ins Fohlenhorn jagen. Harte Zeiten im Rheinland. Fast eben so hart geht ist in der Pfalz zu, wo der 1. FC Kaiserslautern von Niederlage zu Niederlage taumelt. War die Situation zu Anfang noch von einer guten Portion Pech geprägt, so kann die letzte Klatsche als komplett verdient erachtet werden. Gegen die Adler von der Eintracht präsentierte man sich nach einem verschossenen Elfmeter kraftlos und bzgl. der Kreativität talentfrei, die Fans standen dem in nichts nach und sorgten gemeinsam und mit vollem Einsatz für keine Stimmung. Der Ehrenpreis für Niveaulosigkeit ging dann auch nach Frankfurt, wo man nicht nur in guter alter Metzgermanier für das Spiel geworben hat, sondern auch beim Spiel eine lyrische Schalchoreographie realisierte, welche Goethe eventuell noch postmortem zum Wechsel seiner Geburtsstadt inspirieren wird.

Wenn’s eng wird…

Die Roten Teufel haben mittlerweile ein Problem zwischen den Ohren, das dort ganz schnell wieder verschwinden sollte, und dies ohne dabei den Kopf zu verlieren. Nachdem Kuntz und Kurz lange in ihrem saarländischen Kellerlabor bei Oma geforscht haben, steht nun das Heilmittel fest: Dreipunktopharm – keine Tore, keine Besserung! Sprich: Siege müssen her! Die große Aufholjagd soll in Freiburg starten, dort im sonnenverwöhnten, wunderschönen sowie energiesparenden Breisgau. Land, in dem Autofahrer eine diskriminierte Minderheit sind und Miniaturschifffahrtskanäle mitten durch die Fußgängerzone führen. Früher lebten in Freiburg die berüchtigten, technisch versierten Breisgau-Brasilianer, die unter ihrem Häuptling „Polker Binke“ zum Angstgegner der ebenso wunderschönen Teufel aus der Pfalz wurden. Mittlerweile stellt sich der direkte Vergleich etwas nivellierter dar, der FCK konnte sich 2008 sogar durchsetzen und mit 2:0 gewinnen. Es sind eben Zeiten, in denen die Trainer auch mal ein Dutt tragen, wenn es aus sportlicher Sicht notwendig ist. Doch dieses modische Thema ist hier fehl am Platze, ich will lieber etwas Hoffnung in den Raum sprühen. Freiburg ist wohl der frankophilste aller deutschen Bundesligisten und jeder weiß, was im Moment in Frankreich so los ist. Immenser Streik an allen Ecken und Straßen, kein Sprit mehr an den Tanken und in den Schnapsregalen, rien ne va plus… was liegt da näher, als eine solidarische Arbeitsverweigerung von Pouplin, Jäger und Co.?!

In diesem Sinne!

Ba beneen,
Butduma

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