6. Spieltag: Eintracht Braunschweig - TSV 1860 München

Die Musikkenner unter euch werden sicher bemerkt haben, dass bei meiner letzten Umfrage über den Ausgang des Spiels gegen Viktoria Köln drei Albumtitel zur Auswahl standen. Für alle anderen gibt es hier noch die Auflösung: Let there be rock = ACDC, Balance of Power = Electric Light Orchestra und Crisis? What Crisis? = Supertramp. Und auch dieses mal sind bei der Abstimmung wieder drei Albumtitel am Start. Aber jetzt zurück zu König Fußball.

Wer sich mit den Ursprüngen des Fußballs in Deutschland beschäftigt, der kommt an einem Namen nicht vorbei: Wilhelm Carl Johann Konrad Koch. Der am 13. Februar 1846 in Braunschweig geborene spätere Lehrer, führte 1874 das Fußballspiel in Deutschland ein. Zusammen mit dem Turnlehrer August Hermann, der einen "echten Fußball" aus England hatte kommen lassen, organisierte er das erste Spiel auf deutschem Boden. Dieses fand im Herbst 1874 statt. 1875 legte er das erste Regelwerk für das in unserem Land neue Spiel vor. Wer noch mehr dazu lesen möchte, dem empfehle ich diesen Wikipedia-Artikel, der sich ausführlich mit den Verdiensten des Pädagogen um unseren Lieblingssport beschäftigt. 2011 wurde das Leben von Konrad Koch verfilmt. Die Hautrolle in dem sehenswerten Spielfilm "Der ganz große Traum", übernahm damals Daniel Brühl, der vielen von euch aus dem Film "Good Bye, Lenin" (2003) ein Begriff sein dürfte.

Bei dieser Vorgeschichte ist es nicht verwunderlich, dass am 15. Dezember 1895 in der Wohnung des Braunschweiger Ingenieurs Carl Schaper, der Fußball- und Cricket Club Eintracht Braunschweig gegründet wurde. Der Verein hat lt. Homepage 5.501 Mitglieder (Stand: 23. August 2021) und die Farben sind Blau-Gelb. Der Klub hat das gleiche Wappentier wie der TSV 1860 München, weshalb heute auch oft im Zusammenhang mit den Braunschweigern von den "Nordlöwen" gesprochen wird. Bereits früh stellten sich erste sportliche Erfolge ein. So gewann man 1905 die Verbands-Meisterschaft und konnte an der dritten Deutschen Fußballmeisterschaft 1904/05 teilnehmen, bei der man das Viertelfinale erreichte. 1908 und 1913 wurde man Norddeutscher Meister. Das berechtigte erneut zur Teilnahme an der Endrunde um die Deutsche Fußballmeisterschaft. 1907/08 verlor man dabei im Viertelfinale mit 0:1 gegen den Duisburger Spielverein. 1912/13 fand aufgrund von zahlreichen Protesten und Gegenprotesten (das erinnert mich irgendwie an das diesjährige DFB-Pokalspiel zwischen Preußen Münster und dem VfL Wolfsburg), das norddeutsche Finale erst zwei Wochen nach dem Endspiel um die deutsche Meisterschaft statt. Deshalb konnte die Eintracht auch nicht an der damaligen Endrunde teilnehmen. Von 1933 an spielte der Verein in der Gauliga, der damals höchsten Klasse. Dort wurde man 1943 und 1944 Meister und erreichte die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft.

Ab der Saison 1947/48 gab es in Deutschland wieder einen einheitlichen Spielbetrieb und der TSV Braunschweig gehörte zu den Gründungsmitgliedern der neuen Fußball-Oberliga Nord. 1958 reichte es als Vizemeister zur Teilnahme an der bundesweiten Endrunde, bei der man allerdings in der Vorrundengruppe 2 u.a. am späteren Meister FC Schalke 04 scheiterte. Genau wie der TSV 1860 München gehörte die Eintracht zu den 16 Gründungsmitgliedern der 1. Bundesliga, die in der Saison 1963/64 ihren Spielbetrieb aufnahm. Nach den Plätzen 11, 9 und 10, gelang den Braunschweigern dann in der Spielzeit 1966/67 der ganz große Wurf. Die Mannschaft wurde Deutscher Meister. Bereits nach der Vorrunde hatten die Niedersachsen punktgleich mit dem Zweitplatzierten Hamburger SV die Tabelle angeführt. Der Vorjahresmeister TSV 1860 München stand zu diesem Zeitpunkt nur auf dem achten Rang. Nachdem es bei 1860 im Dezember eine Spielerrevolte gegen Trainer Max Merkel gab die nach einer geheimen Abstimmung (16:1 gegen den den Österreicher) zu seiner Entlassung führte, startete der TSV eine Aufholjagd. Am Ende wurde man mit nur zwei Punkten Rückstand Vizemeister und in der Rückrundentabelle belegte mal sogar den ersten Platz. Kapitän der Braunschweiger Meistermannschaft von 1967 war der im Dezember 2020 verstorbene Joachim Bäse. Erfolgreichster Torschütze der geniale Regisseur Lothar Ulsaß, der 14 der insgesamt "nur" 49 Treffer (= bis heute niedrigste Ausbeute eines Deutschen Meisters seit Einführung der Bundesliga) für die Eintracht erzielte. Als Trainer fungierte der gebürtige Hamburger Helmuth Johannsen, der den Verein mit Beginn der Bundesliga übernommen hatte und diesen bis zum Ende der Saison 1969/70 betreute. Der Titelgewinn war für die Eintracht der bis heute größte Erfolg in der Vereinsgeschichte und so durfte die Mannschaft in der darauffolgenden Spielzeit 1967/68 als deutscher Vertreter am Europapokal der Landesmeister teilnehmen. Nachdem man in den ersten beiden Runden den KS Dinamo Tirana sowie Rapid Wien ausgeschaltet hatte, scheiterte man erst im Viertelfinale unglücklich an Juventus Turin. Nach einem 3:2 Erfolg in Hinspiel, verlor man durch einen Elfmeter in der 88. Minute das Rückspiel mit 0:1. In einem Entscheidungsspiel auf neutralem Platz (Bern) verlor man dann erneut mit 0:1. Das war auch gleichzeitig der größte internationale Erfolg der Eintracht, die darüber hinaus auch noch 1972 und 1978 das Achtelfinale, sowie 1977 die 2. Runde im UEFA-Cup erreichte.

Insgesamt kann Eintracht Braunschweig auf 21 Spielzeiten in der 1. Bundesliga (zuletzt 2013/14) zurückblicken und liegt mit 903 Punkten in der Ewigen Tabelle der Fußball-Bundesliga mit Platz 20 (von 56 Mannschaften), einen Rang vor unseren Löwen. In der 2. Liga sind es 18 Jahre und 882 Zähler. Das reicht für den 19. von 127. Plätzen, während der TSV 1860 München hier mit 1038 Punkten den 15. Platz belegt. In Liga 3 hat ETB die Nase vorne (Rang 15/308 Punkte), 1860 (36/176). Dafür sind wir als zweimaliger DFB-Pokalsieger in der Ewigen Tabelle dieses Wettbewerbes mit Platz 19 besser platziert als die Eintracht (Rang 25), deren bestes Abschneiden zwei Halbfinalteilnahmen 1981 und 1990 waren. Genau wie bei unseren Löwen gab es bei Braunschweig seit Einführung der 1. Bundesliga neben einigen Erfolgen aber auch viele sportliche Rückschläge in Form von schmerzhaften Abstiegen für den Verein. Das zeigt auch ein Blick auf die historischen Platzierungen in diesem Zeitraum. In der Saison 2018/19 wäre der Klub als Zweitligaabsteiger sogar um ein Haar aus der Dritten Liga abgestiegen. Nach der Vorrunde hatte die Eintracht nur 13 Punkte auf dem Konto und lag mit sieben Zählern Rückstand auf das rettende Ufer abgeschlagen auf dem letzten Platz. Nach einer fulminanten Aufholjagd und einem 1:1 vor eigenem Publikum am letzten Spieltag gegen Energie Cottbus, landete man am Ende schliesslich doch noch auf Platz 16 und sicherte sich aufgrund dem besseren Torverhältnis gegenüber den Lausitzern den Klassenerhalt. So konnte der Verein den erstmaligen Absturz in die Viertklassigkeit gerade noch abwenden. In der Folgesaison stieg man in die 2. Bundesliga auf, in der man sich aber nicht halten konnte.

Nach einem 0:0 zum Saisonstart 2021/22 beim 1. FC Kaiserslautern, kamen die Niedersachsen am zweiten Spieltag beim 0:4 vor eigenem Publikum gegen den Aufsteiger FC Viktoria 1889 Berlin überraschend deutlich unter die Räder. Im darauffolgenden Spiel der 1. Runde im DFB-Pokal hielt man gut mit dem Hamburger SV mit, musste sich aber am Ende mit 1:2 geschlagen geben. Dafür hat man danach in der Liga richtig Fahrt aufgenommen und feierte nacheinander jeweils ein 2:0 gegen Halle und den FSV Zwickau. Auf Youtube sind Zusammenfassungen von allen Begegnungen verfügbar:

1. FC Kaiserslautern - Eintracht Braunschweig | 1. Spieltag, 2021/2022 | MAGENTA SPORT
Eintracht Braunschweig - FC Viktoria 1889 Berlin | 2. Spieltag, 2021/2022 | MAGENTA SPORT
Eintracht Braunschweig - Hamburger SV | Highlights - DFB-Pokal 2021/22 | 1. Runde
Hallescher FC - Eintracht Braunschweig | 3. Spieltag, Saison 2021/2021 | MAGENTA SPORT
Eintracht Braunschweig - FSV Zwickau | 4. Spieltag, 2021/2022 | MAGENTA SPORT

Heute musste Eintracht Braunschweig bei dem vor diesem Spieltag punktgleichen Tabellennachbarn SC Verl antreten. Und die Nordlöwen kamen zu einem 0:3 Auswärtserfolg. Zur Halbzeit stand es allerdings noch 0:0: Pena Zauner bringt den nächsten Eintracht-Sieg auf den Weg. Für den Deutschen Meister von 1967 war es der dritte Sieg in Serie und damit haben die Niedersachsen nach fünf Spieltagen 10 Punkte auf dem Konto.

Von den Spielern die aktuell im Kader der beiden Mannschaften stehen gibt es mit Kevin Goden, Quirin Moll, Merveille Biankadi und Marcel Bär vier, die bereits für beide Vereine ihre Fußballschuhe geschnürt haben. "Cello" wechselte erst in diesem Sommer von der Oker an die Isar. Doch auch in der Vergangenheit gab es mit unserem Meisterlöwen von 1966 Ludwig "Bubi" Bründl, Mathias Fetsch, Guido Gorges, Marvin Pourie und Ralf Strogies Fußballer, die beide Löwen-Trikots trugen. Bründl gehört übrigens auch zu den 15 erfolgreichsten Torjägern von Eintracht Braunschweig. Rekordspieler ist der "Pferde-Franz", Franz Merkhoffer der 574 mal das Trikot der Eintracht trug: Das sind die Rekordspieler von Eintracht Braunschweig.

Zum 125-jährigen Vereinsjubiläum im letzten Jahr veröffentlichte der NDR eine knapp 45-minütige Dokumentation die auf Youtube verfügbar ist: Lieben, leiden, leben: 125 Jahre Eintracht Braunschweig | Sportclub | NDR Doku. Auch Leuten die sich nicht für den Verein interessieren, kann ich diese historische Doku (mit viel Filmmaterial aus den "guten alten Zeiten") nur empfehlen. Bei der Passage die sich mit dem tragischen Unfalltod des Meisterlöwen Jürgen Moll und seiner Ehefrau im Dezember 1968 beschäftigt, bekam ich bei dem Gespräch mit einer der beiden hinterbliebenen Töchter eine dicke Gänsehaut. Das Jürgen Moll bis heute bei den Fans der Eintracht ein hohes Ansehen geniesst und er und seine Ehefrau nicht vergessen sind, zeigt auch dieser lesenswerte Artikel vom Dezember 2018: Die Tragische Legende: Zum 50.Todestag von Jürgen Moll, der sich u.a. auch mit einer ganz besonderen Choreografie der Fans bei einem Heimspiel gegen Halle beschäftigt. Diese Aktion war wirklich ganz großes Kino und ist auch in der von mir verlinkten Doku auf Youtube zu sehen.

Die Lage bei unseren Löwen:

Michael Köllner hat bei unserem heutigen 3:0 Heimsieg über Viktoria Köln auf das in der letzten Saison so erfolgreiche 4-1-4-1 System gesetzt. Dafür hatte übrigens @M-Power bereits zum ersten mal am 14.08.21, nach unserem mehr als glücklichen 1:1 gegen TürkGücü München plädiert und für seinen Beitrag sehr viel Zustimmung erhalten: Systeme, Taktik, Aufstellungsvarianten ab Saison 2020/2021 #48.

Es war zwar heute auch noch nicht alles Gold was glänzt aber ich habe – als ausgewiesener Taktik-Laie – den Eindruck, dass unsere Mannschaft in dieser Formation einfach besser spielt. In dem Zusammenhang möchte ich an dieser Stelle den Hut vor unserem Coach ziehen. Ganz offensichtlich ist Michael Köllner auch in der Lage, sich selbst und seine Taktik kritisch zu hinterfragen. Das sollte zwar eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber nicht. Ich habe in meinem Leben schon viele erfolgreiche Menschen kennengelernt, die mit zunehmenden Erfolg immer mehr abhoben und irgendwann gar nicht mehr in der Lage waren, sich selbst oder die eigenen Entscheidungen zu hinterfragen. Sie hielten sich schlichtweg für unfehlbar. Und auf den Fußball bezogen fällt mir da sofort unser ehemaliger Bundestrainer Jogi Löw ein. Es freut mich, dass Michi Köllner nicht zu diesen oftmals völlig beratungsresistenten Personen gehört.

Bilanz

Die Bilanz des TSV 1860 München gegen Eintracht Braunschweig ist mit 15 Siegen, 10 Unentschieden und 12 Niederlagen aus Sicht unseres TSV relativ ausgeglichen. Zum ersten mal trafen die beiden Traditionsmannschaften übrigens am 1. Spieltag der neugegründeten Fußball-Bundesliga aufeinander. Damals gab es am 24.08.1963 auf Giesings Höhen vor 35.000 Zuschauern ein 1:1 durch Tore von Rudi Brunnenmeier und Klaus Gerwien. Die größte Kulisse bei den insgesamt 37 Begegnungen, gab es am mit 41.000 in der Saison 2005/06 in der Allianz-Arena. Der TSV gewann das Duell in der 2. Bundesliga durch einen Treffer des unvergessenen Paul Agostino mit 1:0. Die beiden bisher letzten Aufeinandertreffen fanden in der Spielzeit 2019/20 statt. Das Hinspiel gewannen die Nordlöwen zu Hause mit 2:1. Dafür gab es in der Rückrunde einen 4:1 Erfolg für den TSV 1860. Die Tore für 1860 erzielten Bekiroglu, Dressel und Sascha Mölder (2x). Den zwischenzeitlichen Anschlusstreffer markierte ein Spieler, der am Wochenende hoffentlich nicht gegen uns treffen wird: Marcel Bär.

Prognose:

Auch wenn der heutige Sieg ein Schritt in die richtige Richtung war, so liegt doch jede Menge Arbeit vor unserer Mannschaft. Denn vor allem in der Defensive stehen wir nach wir vor noch nicht so kompakt und sicher, wie über große Teile der letzten Spielzeit. Dementsprechend wäre ich am Samstag schon mit einem Punktgewinn beim Zweitligaabsteiger in Braunschweig sehr zufrieden. Das würde uns auch in eine gute Ausgangsposition für unser nächstes Heimspiel gegen den SV Meppen bringen. Die Emsländer haben heute mit 5:0 in Mannheim verloren und sollten – bei allem nötigen Respekt – mit unseren tollen Fans im Rücken auf Giesings Höhen„leichter“ zu schlagen sein als die Eintracht.

Das Spiel der beiden Altmeister wird am kommenden Samstag nicht nur bei Magentasport, sondern auch im Free-TV (BR) ab 14:03 Uhr live übertragen. Nachdem bei den bisherigen Heimspielen von Eintracht Braunschweig keine Gästefans zugelassen waren, gibt es aber jetzt gute Nachrichten für unsere Auswärtsfahrer: Bis zu 550 Karten auswärts für Spiel des TSV 1860 München gegen Eintracht Braunschweig.
Dieser Beitrag wurde zuletzt von ScottishLion am 25.08.2021 um 00:09 Uhr bearbeitet